9. MAI 2013 // Krypta: SUB LUNS SOUNDSYSTEM – DJ HANK & DJ LITTLE SEB
23.00 Uhr
Dies schreibt der Veranstalter:
Heute scheint die grün-gelb-rote Sonne auch in die Krypta hinunter.
Little Seb (London) und Hank (Berlin) vom Sub Luns Soundsystem bringen
die Musik von Prince Buster, Derrick Morgan, Althea & Donna, Millie,
Reggae Play und Queen Ifrica und Love, Peace & Happiness zurück.
50 Jahre Jamaikanische Musik-Geschichte, also schweren Ska,
wunderschönen Rocksteady, Roots, Dub, Dancehall, Ragga, Cod und
Dubstep. Und nicht wenige werden sich ausserdem über einige Seitenhiebe in
Richtung Powerpop und Punk freuen.
Put on your dancing boots, bring your flags and share the love!
Anlässlich der Ausstellungseröffnung von Hank Schmidt in der Beek
am gleichen Abend bei Niklas Schechinger Fine Art 19h – 23h.
EIN BISSCHEN FRIEDEN
Hank Schmidt in der Beek
10. Mai – 8. Juni 2013
Eröffnung: Donnerstag, 9. Mai von 19 – 22 Uhr
Niklas Schechinger Fine Art
Trommelstr.7
20359 Hamburg
Zur Ausstellung EIN BISSCHEN FRIEDEN:
1982 gewann Nicole mit einem bis heute ungebrochenen Punktedurchschnitt-Rekord
den Eurovision Song Contest im nordenglischen Kurort Harrogate.
Sie singt:
Ein bisschen Frieden, ein bisschen Sonne
Für diese Erde, auf der wir wohnen.
Ein bisschen Frieden, ein bisschen Freude,
Ein bisschen Wärme, das wünsch ich mir.
…
Ich weiß, meine Lieder, die ändern nicht viel,
Ich bin nur ein Mädchen, das singt, was es fühlt.
Diese Verse im Ohr könnte die Betrachtung meiner EIN BISSCHEN FRIEDEN-Bilder
tatsächlich den Vergleich nahelegen: Hank Schmidt in der Beek – der Nicole der Malerei.
Andererseits dürfen wir aber nicht außer Acht lassen, dass das, was der
Fließband-Schlager-Texter Bernd Meinunger da für die Nicole geschrieben hat, ein
Missverständnis ist, wie es katastrophaler nicht sein könnte:
Dass trotz Nicoles Rekord-Sieg in Harrogate auf dieser Erde, auf der wir wohnen, noch
immer ein spektakulärer Mangel an einem bisschen Frieden herrscht, liegt an allem
anderen als daran, dass die Nicole nur ein Mädchen ist, das singt was es fühlt.
Und selbst wenn Nicoles Lieder tatsächlich nicht viel ändern, woher sollte dies
ausgerechnet das Mädchen selbst wissen, und was wäre die Schlussfolgerung aus diesem
fatalen Wissen?
Jedenfalls nicht, was Meinunger und sein Kollege Ralf Siegel das Mädchen im letzten Part
seines Songs aus vollem Herzen und mit ganzer Kraft singen lassen:
Sing mit mir ein kleines Lied,
Dass die Welt im Frieden lebt!
Sing mit mir ein kleines Lied,
Dass die Welt im Frieden lebt!
Diese vier Zeilen sind kein Missverständnis, und mit ihnen kommen wir auch meinen Bildern
noch ein bisschen näher. Ob diese am Ende des Tages viel ändern werden oder wenig, das
weiß der Junge, der sie malt zum Glück nicht.
Mein Vertrauen in sie ist aber grenzenlos. Das möchte ich am Beispiel des Gemäldes
Walk and talk like a Chicken and Bear in knapper Form schildern:
2009 zogen Michelle und Barack Obama ins Weiße Haus ein, und mit ihnen eine
vergleichsweise wirklich frische Kunst-Auswahl: Die Cowboy- und Kakteen-Bilder, die sich
George W. Bush für seine Wände ausgesucht hatte, wichen den Werken abstrakter Meister und
Pop-Art-Pionieren und dem Watusi, einem Gemälde der afro-amerikanischen Künstlerin Alma Thomas.
Hierzulande berichteten damals die Kunstmagazine über den Watusi als „großformatiges
Gemälde mit farbsatten, unregelmässigen Mustern“[1], ohne jedoch zu erkennen, dass diese
Muster alles andere als unregelmässig sind, sondern vielmehr die liebe- und mühevoll
nachgepinselten Scherenschnitt-Formen eines der bekanntesten Werke Henri Matisses, nämlich
des Snail.
Ich sah mich in Sorge, dass ich womöglich der Einzige sei, der Augen und Verstand genug hat,
um im Watusi den Snail zu erkennen und schrieb dem amerikanischen Präsidenten-Ehepaar eilig
einen 13seitigen offenen Brief[2], in dem ich ihnen die Hintergründe des Bildes erklärte.
Quintessenz meines Schreibens waren aufrichtige Glückwünsche zu einem wirklich scharfsinnigen
Schlüsselbild der modernen Kunstgeschichte in der Obama’schen Kunstsammlung.
Der Brief blieb zwar augenscheinlich unerhört, aber kurze Zeit später kam man dann schließlich
auch in den USA dahinter, dass die Watusi-Muster so unregelmässig doch nicht sind: Findige
Republikaner machten aus Alma Thomas’ offensichtlicher Matisse-Hommage kurzerhand ein
schmutziges Matisse-Plagiat und auf den neuen Präsidenten des Landes, dessen größter Beitrag
zur Kunstgeschichte seine sog. Appropriation-Art ist, wurde so viel Druck ausgeübt, dass der Watusi
schließlich wieder aus dem Weißen Haus verschwand.
Und wieder sah ich mich in Sorge, aber diesmal in weitaus größerer: Wo die Freiheit und Schönheit
der Kunst von politischen Lagerkämpfen mit Füßen getreten wird und der sog. mächtigste Mann der
Welt seinen Kunstgeschmack rechtfertigen muss und letztlich klein bei gibt, da hat der Spaß ein Loch!
Dass Alma Thomas’ Watusi nicht der geringsten Rechtfertigung bedarf – und am allerwenigsten der
kleinbürgerlichen Rechtfertigung durch den an sich überflüssigen Begriff der „Appropiation-Art“ – weiß
jeder, der in seinem Leben schon einmal Musik gehört hat.
Und jeder, der in seinem Leben schon einmal Reggae gehört hat (also ich), weiß es am besten:
Denn in kaum einer anderen Musik ist das Kreieren auf Grundlage eines bereits bestehenden Werkes,
und sogar das, was man anderswo als Plagiieren bezeichnet, so selbstverständlich und so außerhalb
jeglicher Rechtfertigungsnotlage wie im Reggae (der Begriff „Reggae“ kann in diesem Zusammenhang
ausnahmsweise stellvertretend für die jamaikanische Musik im Allgemeinen verstanden werden:
vom Mento – der ersten jamaikanischen Popmusik – über den Ska und Rocksteady der 60er Jahre, über
Reggae und Dub bis hin zu Dancehall und Ragga).
Das ist – zumindest so in etwa – einer der Hintergründe von meinem Gemälde Walk and talk like a
Chicken and Bear, das wir am 9. Mai unter anderen vorstellen werden:
Eine dritte Snail-Version, diesmal nicht als Wah-Watusi (einem beliebten Tanz, der modern war, als
Alma Thomas ihre Snail-Version gemalt hat), sondern als heute aktueller Reggae-Tanz – eine Erklärung
meiner Solidarität mit jeglicher Art von geknechteter Kunst, und der Versuch einer Wiedergutmachung.
Wir wissen nicht, wo der Watusi mittlerweile gelandet ist, und wahrscheinlich hat ihn das Weiße Haus
ohnehin nicht verdient – zumindest symbolisch hängt er jetzt jedenfalls hier im Schutz der Galerie
Niklas Schechinger Fine Art, wo er weitaus anständiger behandelt wird.
Meine Farbpalette ist kleiner als Almas, aber in meinem Walk and talk like a Chicken and Bear steckt
dieselbe Liebe und dieselbe Mühe wie im Watusi – und derselbe Riddim: The Snail.
Und – Snail hin, Watusi her – darüber hinaus ist der Walk and talk like a Chicken and Bear natürlich ein
Tribut an den Reggae.
Könnte ich übrigens beweisen, dass es auf dieser Erde, auf der wir wohnen, ein bisschen mehr Frieden
geben würde, wenn Peter Tosh[3] Bernd Meinungers Song-Text lektoriert hätte und nicht Ralf Siegel
Nicoles Nummer 1-Hit produziert hätte, sondern Lee „Scratch“ Perry, der Salvador Dalí des Dub, dann
würde ich es tun.
Kann ich aber nicht. Aber vermuten.
(Hank Schmidt in der Beek)
[1] MONOPOL, Juli-Ausgabe 2009
[2] veröffentlicht in MEISE Nr. 7
[3] „ Everyone is crying out for peace yes / None is crying out for justice / I don’t want no peace / I need equal
rights and justice / Got to get it / Equal rights and justice“ (Peter Tosh, Equal Rights)