Die Untüchtigen: Kunst, Spektakel, Revolution – Revolutionäre Poetik. Oder: Wie vom Schweigen sprechen? Zur Dichtung Hölderlins und Celans
Die in Weimar ansässige Reihe “KUNST, SPEKTAKEL, REVOLUTION” zu Gast bei den Untüchtigen.
Friedrich Hölderlin –
der Dichter der Deutschen, der den Rhein und die Donau besang, der Stifter des subjektiven Innenraums, der Gestimmtheit sowie des Seins. In einer solch reduzierten, hermeneutisch-heideggerisch inspirierten Sicht fällt jedoch der Aspekt des Politischen sowie des Revolutionären unter den Tisch, denn es gibt jenen Hölderlin, der sich für die Französische Revolution und deren Forderung nach Gleichheit sowie Freiheit begeisterte. Dieser Moment des Revolutionären zeigt sich nicht nur auf der Seite der Geschichtsphilosophie, sondern ebenfalls immanent in Hölderlins Poetik selbst. Das Verrätselte seiner Sprache, die sich ins Verstummen und in den Gesang aufzulösen scheint, mag über den Aspekt des Politischen in Hölderlins Dichtung hinwegtäuschen. Aber mit der Französischen Revolution und den Umstürzen in der Philosophie – paradigmatisch dafür: die drei Kantischen Kritiken sowie die Philosophie Fichtes – brach eine neue Zeit heran, die auch für die Konstitution von Subjektivität und damit einhergehend: von Dichtung und poetischem Sprechen Auswirkungen zeigte. Dieses Neue registrierte Hölderlin hellsichtig und brachte es, als Moment einer ins Utopische gewendeten griechischen Polis, vermittels der Dichtung in eine sprachliche Gestalt – darin die Weimarer Klassik weit überragend. Zugleich aber enttäuschten die anfänglich gehegten Hoffnungen und zerbrachen an der Deutschen Misere sowie an einer permanenten Revolution, die sich zum Terror wandelte.
In einem Flug von Georg Lukács‘ Aufsatz „Hölderlins Hyperion“ zu Adornos Hölderlin-Essay „Parataxis“ und (möglicherweise auch noch) zur Celan-Lektüre Derridas möchte ich ein Modell poetischen Sprechens aufzeigen, das sich über die Begriffe Ausdruck, Konstruktion, Schweigen und Schrift erschließt. Schwerpunkt wird dabei der dialektisch-kritische Text Adornos sein: Mochte für Lukács noch die geschichtsphilosophische und revolutionäre Perspektivierung eine Möglichkeit abgeben, dass Gesellschaft sich (revolutionär) ändere, so ist dies in der Sicht Adornos inmitten einer deformierten Gesellschaft samt deformiertem Bewusstsein und insbesondere nach jenem Zivilisationsbruch, für den sich der Name „Auschwitz“ einbrannte, nicht mehr möglich. In Bezug auf das Kunstwerk als Ausdrucksmedium von Wahrheit bleiben lediglich die Figurationen des Schweigen sowie die Kunst selbst als radikaler Ästhetizismus an der Grenze hin zum Verstummen übrig. Anhand von Adornos Parataxis-Essay soll die Verschränkung der Momente von Ausdruck und Konstruktion, Subjektivität und Naturbeherrschung gezeigt werden. Was bei Hölderlin, in der Sicht Adornos, als eine Dialektik von Natur und Subjekt, Verdinglichung und Utopie im (verrätselten) Gedicht in die Sprache gebracht wird, transfiguriert sich bei Paul Celan dann zu einer Schrift des Schweigen.
Nikolai E. Bersarin (Jahrgang 1964) studierte eine sehr lange Zeit Philosophie, Soziologie, Neuere Deutsche Literatur und Kunstgeschichte. Ein solches Studium wäre im Rahmen all der Drittmitteleintreibungen deutscher Universitäten sowie einer radikalen Umformung und Ökonomisierung des Wissens heute nicht mehr möglich. Bersarin betreibt den Blog „Aisthesis“.