Monatsarchiv für September 2013

 
 

Die Untüchtigen: LUIZ RUFFATO – ES WAREN VIELE PFERDE

São Paulo, ein Tag im Mai 2000. Es ist leicht bewölkt, und der Morgen geht auf. Gelegenheitsarbeiter stapfen entlang der Landstraße an ihre Arbeit, spärlich beleuchtete Busse karren Menschen aus allen Himmelsrichtungen heran.

In 69 Szenen entwirft der erste Roman des brasilianischen Autors Luiz Ruffato, ein kaleidoskopisches Abbild der Megacity São Paulo mit ihrem Glamour, ihrem Elend, ihrer Verlogenheit und ihrem Schmerz.

Luiz Ruffato bewegt sich nicht als Flaneur durch die brasilianische Metropole, sondern als »Zappeur«, der sich kinematografisch in 69 drastischen Szenen durch die Stadt klickt. So gelingt es ihm, die einzelnen Stimmen wieder hörbar zu machen. Die verschiedenen Schlaglichter fügen sich zur Geschichte eines Landes, das von Gewalt und Entwurzelung gezeichnet ist. Jede der Geschichten hat eine eigene Stimme, einen eigenen Ton, eine eigene soziale Färbung. Mit fast paranoider Präzision gelingt es Luiz Ruffato, den Klang, die Gerüche, die Farben, die Angst der 22-Millionen-Stadt poetisch exakt zu erfassen und zu dem verstörenden Porträt einer zerrissenen Gesellschaft zusammenzusetzen.

Ruffato war Eröffnungsredner der diesjährigen Buchmesse und gilt als innovativster Schriftsteller der brasilianischen Gegenwartsliteratur. Die Frankfurter Rundschau schrieb zu seinem Roman »Es waren viele Pferde«: »Das ist der Wahnsinn. Der vielleicht wichtigste brasilianische Roman der letzten Jahre. Ruffato ist ein Revolutionär der brasilianischen Literatur, ein Weltliterat.«

Im Golem stellt Ruffato sein Werk zum ersten Mal in Hamburg auf einer Lesung vor.

Die Untüchtigen: HANS CHRISTIAN DANY – MORGEN WERDE ICH IDIOT Kybernetik und Kontrollgesellschaft

Mitschnitt aus dem Golem vom 20. Oktober 2013.
Andreas Blechschmidt aus der Roten Flora spricht im nach einer kurzen Lesung mit Hans-Christian Dany über dessen neues Buch.

Ein heiter ätzender Spaziergang durch das Innere, die Entwicklungsgeschichte und die Albträume einer von Selbstoptimierung besessenen Gesellschaft, die ihre Kontrolle nicht mehr durch Macht, sondern durch Rückkopplung und Selbstregulation ausübt.

Dany zeigt, wie aus der Kybernetik als Modell für selbstregulierende Systeme eine Matrix der ständigen Optimierung eines jeden und der Gesellschaft geworden ist: Von der kybernetisch inspirierten Sozialpsychologie der fünfziger Jahre wanderte die Feedback-Theorie Wieners und Lewins in die Selbsterfahrungsgruppen, die sie in die WG-Küchen weiter trugen. Parallel flossen die Methoden als Social Engineering in das Management ein und später in die sozialen Netzwerke, wo das Kommunikations-Panoptikum nochmals in neuer Form zu sich fand. Jeder ist nun Beobachter aller anderen und ein von allen anderen Beobachteter. Kontrolle bedeutet nicht länger, die Kontrollierten auf einen Sollwert zu eichen, sondern einen unabschließbaren Prozess der Selbstoptimierung in Gang zu setzen. Heute formen Feedback und Transparenz zentrale Werkzeuge für Kindergarten, Schule, Konsum und Unternehmen.

Die einzige Möglichkeit, dem zu entkommen, scheint, sich der verordneten Kommunikation zu verweigern. Sich durch Sprachlosigkeit der Regulation zu entziehen, um auf der spiegelglatten Oberfläche der Transparenz ein Dickicht undurchsichtiger Inseln wuchern zu lassen.

Sonntag, 13. Oktober 2013 // Roger Behrens: NULLA CRUX NULLA CORONA NULLUS HIRCUS – Geschichten der Anarchie Teil III: DIE UNTERWELT ALS HOCHKULTUR – Anarchie und Ästhetik der Pariser Kunstszene im neunzehnten Jahrhundert.

20.00 Uhr – Eintritt frei

Der Anarchismus beschreibt weniger eine politische Idee als vielmehr ein Ideal der Antipolitik. Seine Konkretion hat das im neunzehnten Jahrhundert, inmitten des bürgerlichen Zeitalters, als gesellschaftliche Utopie, die über das vermittelt ist, was seither als »Kultur« bezeichnet wird.

Die dritte Veranstaltung in der Reihe

NULLA CRUX NULLA CORONA NULLUS HIRCUS

beschäftigt sich deshalb mit Anarchie und Ästhetik der Pariser Kunstszene im neunzehnten Jahrhundert.

Es ist das erfolgreichste Bühnenstück der damaligen Zeit: ›Orpheus in der Unterwelt‹. Uraufgeführt am 21. Oktober 1858, läuft Jacques Offenbachs Operette über Jahre gefeiert in Paris. Es ist die Zeit der Boulevards, der Weltausstellungen, das Second Empire. Bürgerliche Politik verschmilzt mit bürgerlicher Kultur, Gustave Courbet übersetzt die anarchistischen Forderungen seines Freundes Pierre-Joseph Proudhon in die Malerei als Realismus, nicht zuletzt, um so eben die Realität rücksichtslos zu kritisieren. Doch nicht nur hier finden anarchistische Motive Eingang in die Kunst. Auch bei Charles Baudelaire wird das Anarchische zur ästhetischen Strategie, definiert eine subversive Kultur die Modernität. Konterkariert wird das durch die wirkliche Anarchie der Verhältnisse, die Herrschaft der Widersprüche kapitalistischer Produktion, der Krise der bürgerlichen Gesellschaft. Es kommt der Deutsch-Französische Krieg. 1871 ist das Jahr der Pariser Commune. Offenbach übertreibt seine anarchisch-opulenten Bühnenwerke, macht aus der Opéra bouffon eine Feerie – ein Feenmärchen und inszeniert den Aufstand des Gartengemüses (›Le Roi Carotte‹, 1872).

Donnerstag, 03. Oktober 2013 // Bar: NIKAE (Golden Pudel)

Nikae spielt post-filmisch flirrende Rand- und Raummusik.

Mittwoch, 02. Oktober 2013 // Konzert: KNYST!

An alle Umherschweifenden!
Man kann eine leichte Schräglage in Richtung JAZZ spüren, liest man aufmerksam das Programm dieser Wochen. Eine gute Schräglage, wie wir finden; und zuvörderst eine von kurzer Dauer.
Am heutigen Tage gastiert ein norwegisches Trio in unserem krausen Koben; und wir lassen die Combo in eigenen Worten sprechen, hochmögend und -modern von einem binären Übersetzer ohne Herz übertragen:

“Wir sind KNYST!

Wir spielen mind-blowing, schnell fließenden, Herz-Öffnung, Masse-Aufschluss, soul-Fütterung, auf Geschwindigkeitsübertretungen, anregend, vitalisierend, volumizing, hinterfragen, Schweiß-tropfen, ohrenbetäubend, schnell Spucken, knallharte, befreiend, schillernde, atemberaubend, Volumen-Herstellung, boorishing, nährende, Blut-Kochen, gut-ölen, die Wahrheit suchenden, direkten Raum, Leben offenbarenden, Ohr-ansprechend, Klang-prallen, Geist-raising, Welt-Einsparung, nicht-Verlangen, Zunge-flattern, Wort-Stottern, zum Nachdenken zu befreien, all-seing, Finger-Essen, Fleisch-Prügel, Mund-Reißen, doppelt gewagt, all-Verbesserung, Tisch-Tanz, GOOD TIMES Musik!

Mit freundlichen Grüßen – Kasper (sax), Andreas (Schlagzeug) und Christian (Bass).”

Doppelt gewagt!
All-Verbesserung!
Tisch-Tanz!
Man kann es nicht besser zum Ausdruck bringen.
Bereits in Sprunghaltung:
Golem

Donnerstag, 26. September 2013 // BARRIEREFREIE DRINKS

Am heutigen Donnerstag haben wir Zeit, uns um die wichtigen Angelegenheiten zu kümmern:
Das Gespräch, der feine Drink, der Flirt und die liebe zum feinen Schokokeks.
Leider ist unsere Baulichkeit so, dass Sie, so Sie denn zu uns kommen möchten, 7 heilige Treppenstufen und 1 schwarzen Vorhang überwinden müssten. Sollte das ein Hindernis für Sie darstellen, tragen wir Sie heute rauf, ohne dass Sie sich anderweitig Hilfe dafür suchen müssten.
Rufen Sie uns an! (Wie sonst übrigens auch, aber man kann das ja mal hischreiben, nicht?) Wir haben kein Telefon!

Falbe Schwalben zwitschern übrigens von baufälligen Dächern, daß am heutigen Abend CARSTEN MEYER aka EROBIQUE nebst illustrem Anhang die besagten sieben Stufen erklimmen wird, um Ihnen irgendwas feilzubieten, etwas von gewisser Vollkommenheit.

Freitag, 27. September 2013 // SCHAUSTELLE GOLEM präsentiert: FESSELN – EIN LIEDERABEND

FESSELN – EIN LIEDERABEND

20:30 Uhr, Eintritt 5 Euro, ermäßigt 3 €.

Es spielen: Franziska Hartmann (Thalia Theater), Julian Greis (Thalia Theater) und Jan-Phillip Meyer (Klavier)
Konzept & Regie: Maria Ursprung

“Eine Frau und ein Mann finden sich als Geiseln in einem Raum wieder. Sie wissen weder, wo sie sind, noch warum und was sie erwarten wird. Misstrauen steckt in jedem Blick und das nahende Ende in jeder Sekunde. Also tun sie, was jeder in dieser Situation tun würde: Sie jagen die Wahrheit mit Liedern und Tönen und schlagen die Zeit mit Worten und Gedanken, bis beide nach ihren eigenen Waffen greifen.”

Eine Produktion der Schaustelle Golem mit freundlicher Unterstützung des Thalia Theaters Hamburg.

Donnerstag, 3. Oktober 2013 // EL KINO – ZWEI Teil 1

Freitag, 27. September 2013 // TONIGHT THE SKY mit MME BING & HEIKO GOGOLIN

Wir wissen nicht genau, ob dieser Abend mit Mme. Bing und Herrn Gogolin unter unserem unwidersprochen bewusstseinserweiternden Signet der Freitagabende «LES PARADIS ARTIFICIELS» laufen soll, sind aber der unumstößlichen Überzeugung, dass ein «SOWOHL ALS AUCH» immer und zugleich möglich ist, wenn man einander liebt. Bitte kommen!

Die Untüchtigen vs. Konkret: JÖRG KRONAUER & DANYAL – ZWISCHEN ISLAMISMUS UND MODERNE – Die Protestbewegung in der Türkei

“Die Untüchtigen” in Zusammenarbeit mit “Konkret”.
Mitschnitt live aus dem Golem vom 29. September 2013, mit einer Einleitung von Hermann L. Gremliza.

Von „Istanbul 21“ war die Rede, als in den vergangenen Monaten die Straßenschlachten zwischen Polizeikräften und Demonstrierenden im symbolträchtigen Gezi-Park ihren Höhepunkt fanden. Doch bei den Aufständen in Istanbul handelte es sich nicht um eine Bewegung türkischer Wutbürger, die bloß gegen den Bau einer weiteren Shopping Mall aufbegehrten. Die Menschen, die in Taksim, dem jungen und prowestlich orientierten Viertel Istanbuls auf die Straßen gingen, protestierten vor allem gegen die schleichende Islamisierung, die Staatschef Erdogan und seine AKP vorantreiben. Die aktuellen Aufstände zeugen so von der tiefen Spaltung der türkischen Gesellschaft in modern-urbane und säkular orientierte und dörflich-religiöse, konservativ geprägte Bevölkerungsschichten.

Im Gegensatz zu den Ländern des sogenannten Arabischen Frühlings ist in der Türkei ein Sturz der Regierung jedoch nicht in Sicht. Was sind die Unterschiede zwischen Taksim und Tahrir? Worauf basiert Erdogans Macht und die der AKP? Wie steht es um die Perspektiven einer Bewegung gegen die Islamisierung in der Türkei und anderswo? Diese und weitere Fragen werden KONKRET-Autor Jörg Kronauer und der Blogger Danyal (cosmoproletarian-solidarity.blogspot.de) diskutieren.