Verschworene!
Wir waren ein zähes Grüppchen, der die selbstverständlichen Metaphern nicht mehr ausreichten. Uns erschien alles und jeder unendlich steif, uncharmant und viel zu selbstssicher. Die bierselige Lässigkeit der Arrivierten war uns zutiefst verhaßt.
Immer wieder feierten wir uns gegenseitig: «Könnte man das alles nicht auch anders sehen?» – «Ja, man kann!», brüllten wir uns durch Flüstertüten zu, die wir aus Seiten gefaltet hatten, die wir klobigen alten Büchern entrissen. Nicht, daß wir wirklich gewollt hätten, daß die Society um uns herum zusammenstürzt, oh nein, besser nicht schon wieder! (Auch wenn wir manchmal gewaltig mit den Wahrheiten eines Mao-Tse-Tung kokettierten.) Aber «cool», «warm» und «unverschämt anders» fanden wir uns allemal!
Unsere Helden des Blickwechsels hießen Jürgen Habermas, Jean-Luc Godard und Otto Waalkes, und keiner von denen, die wir aus den Fabriken befreiten, kannte sie. (Okay, Waalkes erkannten später dann schon viele Leute, aber bereits hinter dem Industriegebiet Ostfriesland endete sein Ruhm.)
Als dann ein alter Mann mit mächtigen Saufkumpanen irgendwas raunte von «mir bitte mal wieder Zuhören!», wurde es uns wirklich zu flach! Wir schrieben sofort alle Kommentarzeilen voll mit «Tod durch Metaphern!». Wofür hatten wir bittschön gelesen, geschrieben, geschnuppert, gezankt und gesungen, und uns schließlich trotz allerlei Eifersüchteleien verschworen? Wenn uns nun der nächste alte Sack die Butter vom elenden Vollkornbrot nahm! Nie wieder Vollkorn! Aber die Girls waren damit zufrieden und gingen einen saufen.
Wir lösten uns auf und zogen uns jahrzehntelang in unsere Dunkelkammern zurück. Dort setzten wir 3D-Brillen auf und warfen Lichtbilder auf Leinwände. Die eine Seite war Rosa Luxemburg, die andere Yves Klein: Durch einen magischen Trick, der sich die Thetawellen des Lichtes bei hegelianischer Stereoskopie zunutze machte, erschien uns die Welt wieder plastisch. Metaphorisch: In your face!
Durch die 3D-Brillen wirkten sogar Dinosaurier wieder lebensecht: Wir genossen das Leben und suchten nicht mehr nach seinem Sinn. Zu Bandnudeln gab es solange Pasolini, bis die Toskana-Fraktion uns den Spaß abnahm. Das hatten wir kommen sehen und spien nicht.
Ladies and Gentlemen, wo wir gerade bei den appetitlichen Dingen des Lebens sind! Ein paar Jahrzehnte später wird ein charismatischer junger Herr den «BLACK TEA SMASH» erfinden. Der schneidige Anton Spielmansky, unser lieber Führer, Mann von Welt, der Hamburg bereits vor ein paar Jahren für immer verlassen hat. Hier das wunderbare Rezept, Spielmanskys ewige Botschaft an das einfache Volk. Hamburg erwache mit dem
BLACK TEA SMASH
Shaker / Double Old Fashion Glas
5cl Tanqueray Gin mit hausgemachter Earl Grey Infusion / 3cl frisch gepresster Zitronensaft / 2cl Zuckerrohrsirup / 6-8 Minzblätter leicht in der Hand abklatschen und zum shaken dazugeben / mit Lemontwist eine Dufthaube aus den ätherischen Ölen der Schale über dem Glas bilden (Zeste aber nicht dazugeben!), mit geschlagener Minze garnieren.
Das Göttliche an dem Drink ist, wie sich die Minze mit dem Earl Grey verbindet, und durch das Zusammenspiel der Frische des Lippenblütengewächses, der Säure der Zitrone, der Kälte des Getränks und der Stärke des Tees sich etwas Tänzerisches wie das Gefühl von Kohlensäure auf der Zunge etabliert.
Es passiert wahnsinnig viel, in der Nase und auf der Zungenspitze die kühle Frische der Minze, der Tee ist erst sehr klar im Abgang spürbar, wenn die süß-fruchtige Mittelnote etwas nachlässt. Einer unserer beliebtesten Drinks, und zwar zurecht. Und jetzt weiter im Text, schließlich sollen Sie auch mal was kostenlos bekommen, anstatt immer nur von ihrem Eigentümer, ihrem Chef und den staatlichen Kleinkunstbühnen Ihr bißchen Geld aus der Tasche gezogen zu bekommen.
Nun, als dann Ende der Neunziger unsere gealterten Kampfgenossen, die wir immer noch nicht mochten, die aber immerhin einen vergifteten Hauch witziger und geschmeidiger als die feisten Typen davor zu sein schienen, die Obermotze der Republik wurden, und nach nur einem Jahr, in ihrer Verzweiflung, nichts, aber auch gar nichts geschissen zu kriegen, erstmals Menschen in einem anderen Land bombardierten, und wenig später auch noch die Ärmsten unter den Armen in konzertierter Aktion und ziemlich direkt enteigneten, da fragten wir uns: «Was das zu bedeuten hat?»
Waren der Humor, die göttliche Sexiness, die herrliche Bildung und die exklusiven Turnschuhe etwa Tricks gewesen, die nichts mit dem Charakter zutun hatten? Zum Glück hatten wir mit diesen Leuten noch nie was am Hut gehabt als wir älter geworden waren und immer weiter unsere langen Briefe an die Welt da draußen schrieben. Unsere Jugend war einfach vorbei und die Arschgeigen hatten sich durchgesetzt.
So begannen wir uns wieder mal nicht einzurichten in der Neoliberalen Epoche, den Jahrzehnten der allmählichen Selbstzerstörung einer Society, in der wir uns eh nie zuhause gefühlt hätten (was wir erfolgreich als Erfolg ausgaben). Wir konnten uns Albert Camus als eine glückliche Sisyphos vorstellen, aber letztlich ist es doch makaber, wie man uns jahrzehntelang so übergehen konnte und noch immer übergeht. (Und das ist es wirklich.) Wir können jetzt leider nicht weiterschreiben, Deine Mutter wartet mit dem Essen.
Noch schnell das Fazit, Sie verstehen ja sonst wieder nur Bahnhof: Eine Verschwörung, die länger als einen Abend, eine Nacht andauert, ist immer von gestern: Der Golem begrüßt deswegen herzlich sämtliche Alt-68er, Chemtrail-Fanatiker, Hooligans, Journalisten nach der Augstein-Ära und sogar (aber glücklicherweise immer seltener:) Juristinnen mit ihren faustdicken Verschwörungen namens BGB und StGB und all dem andern Scheißdreck, den wir in Makulatur verwandeln könnten, sobald wir keinen Bock mehr drauf haben, Ihr elenden Wichtigtuer!